Der Windsbacher Knabenchor wandelt immer mal wieder auf chorsinfonischen Wegen auch abseits der barocken Welt mit Bachs Passionen oder seinem Weihnachtsoratorium. 2022 sang er beispielsweise Mendelssohns „Elias“, in früheren Jahren stand auch wiederholt das „Deutsche Requiem“ von Johannes Brahms auf dem Programm.In diesem Jahr ist er am 26.7. mit Puccinis „Messa di Gloria“ und Faurés Requiem op. 48.
Diese Frage stellt sich für uns eigentlich gar nicht so sehr, denn wir sind als Chor immer neugierig. Wenn wir nun in diesem Jahr zwei „Jubilare“ haben – Puccini und Fauré starben beide vor hundert Jahren –, dann bieten sich diese Komponisten natürlich auch für eine Programmgestaltung an. Von dieser Warte aus habe ich mich nun gefragt, was denn möglich wäre mit den Windsbachern mal zu machen. Natürlich können wir hier nicht in Puccinis Opernwelt abtauchen. Aber seine Messa di Gloria fällt einem doch schnell auf. Faurés Requiem hingegen ist etabliert und passt gut zur Größe des Windsbacher Knabenchors. Somit haben die Jungs und ich einfach die tolle Chance, zusammen die Musik dieser beiden großen Komponisten zu singen. Das bereichert natürlich ungeheuer. Also ist es eigentlich egal, was uns vielleicht jetzt speziell dafür prädestiniert: Es ist einfach gute Musik und die feiern wir in diesem Jahr.
Das ist richtig. Aber die Jungs betreten in Windsbach ja fast täglich musikalisches Neuland. Im Vergleich: Nur weil man mal eine Bach-Passion – wie beispielsweise im vergangenen Jahr in Kloster Eberbach – gesungen hat, ist man in dieser Musik ja noch lange nicht so verwurzelt und verankert, dass man das jetzt zu seiner Kernkompetenz zählen dürfte. Mit jedem neuen Stück lernen wir was dazu, lernen etwas kennen. Und in Richtung italienische Opernstilistik zu gehen ist schon was Besonderes und man merkt wirklich, dass das den Jungs einen Riesenspaß macht.
Na ja, Töne-Lernen bleibt ja Töne-Lernen. Es ist eigentlich wie immer: Man erarbeitet ein neues Stück und merkt erstmal: Oh, schwer, viel Stoff, schaffen wir das? Aber je weiter man im Probenprozess voranschreitet, umso schneller und leichter springt dann auch der Funke über. Und oft erarbeitet sich chorsinfonische Musik aufgrund der Unterstützung des Orchesters, also in der Probenarbeit durch Korrepetition, zügiger.
Es ist schwer möglich, so was an einem Programm festzumachen. Jeder hat sicherlich Stücke, die er mag und welche, die ihm nicht so liegen. Das ist ja unabhängig von der Stilistik. Aber das Interesse an für die Sänger neuer Musik ist eigentlich immer da – egal, ob es sich um Romantik, moderne oder Alte Musik handelt.
Man muss ja sehen, dass uns ein Werk wie der Puccini fast schon an die Grenzen dessen führt, was vom Klangvolumen mit einem Knabenchor abbildbar ist. (lacht) Zum Glück aber nur fast. Puccinis Messe di Gloria hat eine große Orchesterbesetzung, ist sehr dick instrumentiert. So eine Musik verlangt ja eigentlich schon mal nach einem viel größeren Chor. Wenn wir das jetzt mit einem Knabenchor machen, dann ist das eine ganz bewusste Verschlankung des Klangideals, auf die auch das Orchester reagieren muss. Insofern könnte man die Frage beispielsweise nach einem Verdi-Requiem gar nicht so schnell beantworten. Aber ich bin mir sicher, dass, wenn sich die Chance bietet so etwas mal mit einem anderen Chor zusammen zu machen, auch hier der Funke überspringen wird.
Hier fasziniert mich diese völlig andere Herangehensweise einer Requiem-Vertonung. Fauré lässt beispielsweise ein dramatisches „Dies irae“ (fast) aus und hat seine Musik vollkommen auf Ruhe angelegt. Ich freue mich auf die Langsamkeit des Stückes, auf die intensiven Farbwechsel, die durch die anspruchsvolle französische Harmonik entstehen. Und auf die spannende Instrumentierung, die so gänzlich andere Wege geht als andere chorsinfonische Werke. Hier gibt es zum Beispiel kaum Sätze, in denen die Violinen beteiligt sind, alles ist von unten her instrumentiert und entrückt dann in die Höhe – „in paradisum“ sozusagen. Der Fauré hat einen ganz eigenen Reiz mit viel Potential für Entdeckungen.
Hier haben wir natürlich ein absolutes Kontrastprogramm. Da zeigt sich zwar schon viel vom späteren Puccini, von seinem Einfallsreichtum und von der Art italienisch zu komponieren, aber man merkt dem Werk seine Jugendlichkeit an: Puccini ist noch überhaupt nicht eingenordet, sondern befindet sich noch voll und ganz in seiner Sturm- und Drangphase, angefüllt von Ideen, Harmonien und Melodien. Die Messa di Gloria ist ein Frühwerk, dem vielleicht ein Quäntchen Reife und Form fehlen mag, was den Bogen, Aufbau und Abläufe anbelangt. Aber man sieht eben überdeutlich, was hier für ein Talent sprudelt.
(denkt nach) Wenn man als Musiker sein Berufsleben der Musik verschreibt, braucht man immer wieder neue Nahrung. Musiker sind doch neugierige Leute – bekommen Inspiration durch neue Werke, die Zusammenarbeit mit Orchestern und Veranstaltern. Wenn ich immer nur das gleiche machen würde, würde ich irgendwann stumpf werden. Sich eines Werks anzunehmen, es zu studieren und damit zu durchdringen, den Probenprozess zu durchleben und es schließlich zur Premiere zu führen, ist ja der ständige Rhythmus eines Dirigenten, der auch nicht aufhört. In diesem Jahr sind für mich Puccini und Fauré der „Treibstoff“. Im nächsten Jahr ist es wieder etwas ganz anderes. Und in diesem Neuen finde ich dann Begeisterung.
Dadurch, indem er ein anderes Publikum anlockt: Freunde der italienischen Oper werden vielleicht neugierig sein und entdecken, was Puccini da an Kirchenmusik geschrieben hat. Andererseits kann man natürlich ein Publikum, das eher die klassischen Oratorien hört, mit geistlicher Musik begeistern, die tatsächlich mal in einem neuen musikalischen Gewand erklingt. Hier trifft geistliche Musik auf italienische Opernästhetik, so dass beide Seiten – Opernfreunde und Liebhaber der geistlichen Musik – in unserem Konzert wirklich was Neues entdecken und sich dabei vielleicht ja auch neues Terrain erschließen können.