Anastasia Kobekina ist begierig danach, Neues zu entdecken und dem Bekannten unvoreingenommen zu begegnen. In fünf Konzerten präsentiert unsere diesjährige Fokus-Künstlerin am Violoncello den Facettenreichtum ihres musikalischen Könnens im Rheingau.
Als Kind wollten Sie in der Musikschule, in der Ihre Mutter unterrichtete, am liebsten alle Instrumente erlernen. Warum ist es am Ende das Cello geworden?
Als Kind begeisterte mich die Spieltechnik, bei der der Bogen über die Saiten springt, ganz besonders – man nennt sie „Abpraller“. Dieser Trick funktionierte, denn als Dreijährige wollte ich das unbedingt lernen. Zuerst war das Cello nur ein Spielzeug, ein Spiel, und dann… 25 Jahre später bin ich immer noch fasziniert von der Kraft des Cellos und seiner Fähigkeit zu singen, zu sprechen, zu weinen und zu lachen. Es ist unglaublich, wie dieses Instrument die menschliche Stimme so genau imitieren kann.
Sie sind in einem musikalischen Haushalt groß geworden, Ihre Mutter ist Pianistin, Ihr Vater Komponist. Wann wuchs in Ihnen der Wunsch, Musikerin zu werden?
Ich habe schon mein ganzes Leben lang getanzt, zum Klavierspiel meines Vaters gesungen, selbst etwas gespielt oder improvisiert. Ich glaube nicht, dass ich es damals tatsächlich als Beruf betrachtet habe – es war einfach eine natürliche Art zu sein.
2006 wurden Sie am Moskauer Konservatorium aufgenommen, später studierten Sie in Kronberg, Berlin, Paris und Frankfurt. Was ist das Wichtigste, das Ihnen Ihre Lehrerinnen und Lehrer mit auf Ihren musikalischen Weg gegeben haben?
Ich glaube, sie alle halfen mir, eine tiefere Verbindung mit dem Instrument zu schaffen, über das bloße Holz und die Saiten hinauszugehen und einen Weg zu finden, die Musik, wie ich sie in meinem Herzen und in meiner Vorstellung höre und fühle, auszudrücken.
Als international aufstrebende Cellistin sind Sie zunehmend in der ganzen Welt unterwegs. Ist es anstrengend für Sie, Konzerte auf der ganzen Welt zu spielen? Reisen Sie gern?
Das Reisen und Entdecken ist definitiv mit das Schönste am Musikerdasein. Jede Konzertreise ist einzigartig und voller Kontraste, man lernt Menschen aus unterschiedlichen Berufen und verschiedene Landschaften kennen. Auch wenn es nicht selten zu Verspätungen und verlorenem Gepäck kommt, ist das ein kleiner Preis im Vergleich zu den tollen Erfahrungen, die man macht.
Auf Ihrem neu erschienenen Album bewegen Sie sich musikalisch vom Barock bis in die Moderne durch alle Jahrhunderte. Gibt es eine Epoche, der Sie sich derzeit am meisten verbunden fühlen, die Sie aktuell am meisten interessiert oder ist es gerade die musikalische Entwicklung über die Jahrhunderte hinweg, die Sie fasziniert?
Ich liebe einfach Musik in all ihren Formen. Es gibt Jahrhunderte, in denen Komponisten bis an ihre Grenzen gegangen sind, um Emotionen, Geschichten und ganze Welten in ihrer Kunst auszudrücken, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. Ich liebe es, all diese Aspekte in verschiedenen Musikepochen zu erforschen und dann meine Erfahrungen weiterzugeben, in der Hoffnung, bei meinem Publikum Assoziationen oder Erinnerungen zu wecken.
In letzter Zeit haben Sie sich intensiv mit verschiedenen Instrumenten der Cellofamilie beschäftigt. Wie unterscheiden sich diese Instrumente im Klang und der Spieltechnik? Und haben Sie ein Lieblingsinstrument?
Jedes Instrument, das ich spiele, ist sehr unterschiedlich in der Handhabung, alle besitzen einen eigenen Charakter – wie Menschen! Aber ich genieße die Vielfalt, den Facettenreichtum und die Ausdrucksmöglichkeiten, die mir jedes Instrument bietet.
Sie haben Ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. Ist die Musik auch im Alltag Ihr Ausgleich oder gibt es andere Aktivitäten, die Ihnen Ausgleich verschaffen?
Musik spielt in meinem Leben eine wichtige Rolle, und Musikerin zu sein, lässt sich nicht auf eine typische 5-Tage-Arbeitswoche beschränken. Es ist eine Art zu leben. Aber es gibt nicht nur Musik – und vor allem nicht nur klassische Musik! Das Fotografieren, Zeichnen oder die Erlebnisse mit meinen Freunden sind nicht weniger wichtig. Ich glaube, dass man das Leben in vollen Zügen genießen muss, um mit Musik Geschichten erzählen zu können. Und dazu gehört für mich auch, andere Dinge als nur die klassische Musik zu erforschen und zu erleben.
Im Jahr 2022 gaben Sie Ihr umjubeltes Debüt beim Rheingau Musik Festival in einer Spanischen Nacht im Kreuzgang von Kloster Eberbach, 2023 wurden Sie direkt wieder in den Rheingau eingeladen. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihr erstes Konzerte beim Rheingau Musik Festival?
Es war so ein schöner Abend im Hof des Klosters Eberbach! Die Vögel sangen und die majestätische Kulisse des Klosters verwandelte sich mit jedem Augenblick im Licht des Sonnenuntergangs. Eine magische Nacht, an die ich mich gerne erinnere.
Sie treten nicht nur mit Orchestern auf, sondern auch solo oder in kammermusikalischer Besetzung. Wie unterscheiden sich diese Arten des Musizierens für Sie? Bevorzugen Sie eine davon?
Ich genieße die Abwechslung, allein oder mit hundert Musikerinnen und Musikern auf der Bühne zu stehen und die Rollen zu wechseln. Denn ansonsten wäre es so, als ob man sich für den Rest seines Lebens nur für eine kulinarische Richtung, für eine Küche entscheiden müsste – unmöglich!
Ihren Fokus beim Rheingau Musik Festival eröffnen Sie im Juni mit einem musikalischen Meilenstein der Celloliteratur: mit J. S. Bachs berühmten Cellosuiten. Diese werden Sie nicht nur im Wechsel mit weiteren Werken in diesem und einem weiteren Konzert im August präsentieren, sondern auch auf unterschiedlichen Instrumenten – eine kleine Sensation. Warum haben Sie sich dafür entschieden, dieses Werk nicht nur auf einem, sondern auf verschiedenen Instrumenten auf die Bühne zu bringen?
Die Suiten von J. S. Bach wurden vor über 300 Jahren geschrieben und einige ihrer Melodien sind so bekannt, dass Sie sie vielleicht sogar aus Telefonwarteschleifen oder Fernsehwerbung kennen. Ich denke, es ist interessant, dem Publikum die Möglichkeit zu geben, diese zeitlose Musik im Wechsel mit anderen Stücken zu erleben. Im ersten Konzert spiele ich drei Suiten auf dem Stradivari-Cello von 1698, das gebaut wurde, bevor die Suiten überhaupt komponiert wurden. Daneben präsentiere ich einige meiner liebsten kurzen Stücke von zeitgenössischen Komponisten, darunter ein Stück meines Vaters. Im zweiten Konzert gehe ich mit drei Instrumenten auf die Bühne (einige von Ihnen werden mir dabei helfen müssen!), darunter ein Barockcello und ein fünfsaitiges Piccolo-Cello, um Bachs Suiten Nr. 4 bis 6 aufzuführen. Zwischen den Suiten können Sie wunderschöne Miniaturen auf der Viola da Gamba von Carl Friedrich Abel und Marin Marais erleben.
In einem Konzert mit dem Kammerorchester Basel werden Sie einen musikalischen Streifzug durch verschiedene Werke mit Venedig-Bezug unternehmen. Wie wird das Programm für einen solchen Konzertabend ausgewählt?
Venedig ist die einzige Stadt, die mich so tief bewegt hat, dass ich mit diesem Programm ein musikalisches Porträt dieser Stadt schaffen wollte – ein Kaleidoskop aus Geschichten, Erinnerungen, Fantasien, Realem und Imaginärem. Von der Renaissance mit Monteverdi und Dowland bis zur Gegenwart mit Caroline Shaw und Valentin Silvestrov, und natürlich mit der Musik von Antonio Vivaldi.
Gemeinsam mit dem Bandoneonisten und Komponisten Omar Massa und Julien Quentin am Klavier werden Sie in einer Argentinischen Nacht auf Schloss Johannisberg zu erleben sein. Musizieren Sie drei schon länger zusammen?
Wir haben schon früher in verschiedenen Ensembles miteinander gespielt, aber diese spezielle Besetzung als Trio ist eine Premiere für uns! Ich freue mich auf den stimmungsvollen Abend, an dem wir uns gemeinsam mit dem Publikum auf eine musikalische Reise nach Buenos Aires und Lateinamerika begeben.
Das Cellokonzert von Antonín Dvořák ist eines der berühmtesten dieser Gattung. In Ihrem letzten Konzert beim Rheingau Musik Festival werden Sie dieses Werk gemeinsam mit dem Czech Philharmonic unter der Leitung von Jakub Hrůša darbieten. Wie stehen Sie zu diesem Werk und diesem Komponisten?
Das majestätische Dvorak-Cellokonzert ist zweifellos der König aller Cellokonzerte: so viele herzergreifende Melodien, die Klangfülle des gesamten Orchesters und des lyrischen Cello-Solos… In so vielen Momenten bekomme ich eine Gänsehaut vor lauter Schönheit und Abenteuerlust dieser Musik. Eine Geschichte des Lebens, in der natürlich die Liebe das Hauptmotiv ist.
Zum Schluss: Worauf darf sich das Publikum des Rheingau Musik Festivals bei Ihren Konzerten besonders freuen? Und worauf freuen Sie sich ganz besonders?
Ich bin dem Rheingau Musik Festival sehr dankbar, dass es mir die Möglichkeit gibt, in diesem Sommer mehrfach aufzutreten. Und ich freue mich sehr darauf, Sie, das Festivalpublikum, besser kennenzulernen und mit Ihnen über die Musik in Dialog zu treten. Ich freue mich darauf, einige meiner Lieblingsstücke mit Ihnen zu teilen und gemeinsam mit Ihnen die magische Kraft der Musik zu erleben.
K 16 | So. 30.6. | 17 Uhr
Kloster Eberbach, Hospitalkeller
Anastasia Kobekina, Violoncello
K 81 | Do 25.7. | 20 Uhr
Kloster Eberbach, Basilika
„Venezianische Nacht“
Anastasia Kobekina, Violoncello
Kammerorchester Basel
Julia Schröder, Violine & Leitung
K 117 | So 11.8. | 17 Uhr
Mittelheim, St. Aegidius
Anastasia Kobekina, Barockcello, Viola Da Gamba & Piccolocello
K 120 |Do 15.8. | 19 Uhr
Schloss Johannisberg, Fürst-von-Metternich-Saal
„Argentinische Nacht“
Anastasia Kobekina, Violoncello
Omar Massa, Bandoneon und Komponist
Julien Quentin, Klavier
K 134 | So 25.8. | 19 Uhr
Kurhaus Wiesbaden, Friedrich-von-Thiersch-Saal
Anastasia Kobekina, Violoncello
Czech Philharmonic
Jakub Hrůša, Leitung
Titelfoto © Julia Altokhova