1860 wird im böhmischen Kalischt ein Junge geboren, der nach 51 turbulenten Jahren voller Musik der Welt viel zu früh wieder abhandenkommt: Gustav Mahler ist zeit seines Lebens ein Tänzer auf dem Drahtseil, ein Wandler zwischen den Welten, ein Erforscher des Seelenlebens. Er opfert sich auf für die Musik, ist leidenschaftlich, melancholisch, sehnsuchtsvoll. Mit einem weinenden Auge blickt er zurück in die Vergangenheit und stürmt zugleich voller Übermut in die Zukunft. Zum Komponieren entflieht er dem ihn umgebenden Tumult in die Ruhe der Natur, um dort das Chaos der Welt und seines Innenlebens in seiner Musik zu verarbeiten.
Der Komponist Mahler bewegt sich musikalisch zwischen Spätromantik und früher Moderne, bewundert einerseits die Kompositionen eines Richard Wagners oder Anton Bruckners, ebnet mit seinen eigenen Werken aber zugleich Arnold Schönberg und Dmitri Schostakowitsch den Weg. In seinem Leben stößt er vieles an, was die Musikwelt bis heute prägt.
Seine Musik ist so zeitlos, dass sie auch heutzutage der Gesellschaft den Spiegel vorhält. Voller unerwarteter Wendungen, abstrakt und doch programmatisch, nachahmend, emotional, erzählend. Temperamentvolle Liebschaften, der Tod seiner sechs Geschwister und seiner Eltern, die Ausgrenzung aufgrund seiner jüdischen Herkunft, seine impulsive Ehe mit der 19 Jahre jüngeren Alma Schindler, ihre Affäre mit dem Architekten Walter Gropius und der Tod seiner eigenen Tochter: Das alles bringt ihn nicht nur zu Siegmund Freud auf die Couch, sondern findet auch Ausdruck in seiner Musik.
Und trotzdem ist Mahlers Musik nicht ausnahmslos tragisch – ganz im Gegenteil: Es schwingen immer auch eine enorme Energie bis hin zur Ekstase, eine Art Glückstaumel und etwas Tröstliches darin mit. Am Attersee, in Maiernigg in Österreich oder im Südtiroler Pustertal verbringt Mahler seine Ferien, dort hat er kleine „Komponierhäuschen“ inmitten der Berge. „Hier ist es wunderherrlich und repariert ganz sicher Leib und Seele.“ Beim Anblick der Dolomiten schreibt er solch gewichtige Werke wie „Das Lied von der Erde“, seine neunte und die unvollendete zehnte Sinfonie. Die Natur, die Stille und die Schönheit der Berge geben ihm die nötige Kraft, um sich zu regenerieren und kreativ zu sein. Hier findet er Frieden und bekommt den Kopf frei von seinem Alltag.
Ein Alltag, der ihm oft keine Zeit zum Durchatmen lässt: Nachdem sich Mahler in ganz Europa bereits einen hervorragenden Ruf als Dirigent erarbeitet hat, unterzeichnet er 1897 mit nur 38 Jahren den Vertrag zu einem der prestigeträchtigsten Ämter, die die Musikwelt seinerzeit zu bieten hat – die Stellung des Kapellmeisters an der Wiener Hofoper. Dort verfolgt er seinen auf Wagners Idee des Gesamtkunstwerkes basierenden Ansatz, Musik und Darstellung in der Oper immer weiter in Einklang zu bringen. Unermüdlich treibt es ihn vom Orchestergraben mitten ins Geschehen auf die Bühne und wieder zurück, und durch seinen Einsatz entwickelt sich das Wiener Opernhaus zu einem der führenden Häuser weltweit. Nach zehn Jahren verlässt er die Hofoper aufgrund persönlicher Zerwürfnisse und geht an die Metropolitan Opera in New York. Allerdings ist auch diese Anstellung nicht von Dauer, und so leitet er ab 1909 in seinen letzten beiden Lebensjahren hauptsächlich sinfonische Konzerte amerikanischer Orchester.
Während er als Dirgent und Operndirektor schon recht früh Karriere gemacht hat, erlangt er seinen kompositorischen Durchbruch erst mit 34 Jahren – mit seiner opulenten Zweiten, der „Auferstehungssinfonie“. Neben seinen Liedkompositionen zählen seine Sinfonien wohl zu den bekanntesten Werken des Tonschöpfers. Sie alle tragen etwas schmerzlich Schönes in sich, eine persönliche Innigkeit, trotz ihrer teils riesigen Besetzungen. Drei dieser genialen Tonschöpfungen – die Sinfonien Nr. 2, 4 und 9 – erklingen beim diesjährigen Rheingau Musik Festival im Original, auf die dritte Sinfonie wird mit einer Bearbeitung für Kammerorchester und -chor ein ganz neues Licht geworfen. Daneben präsentiert das Fauré Quartett Mahlers selten gehörten Klavierquartettsatz in a-Moll im Konzert auf Schloss Johannisberg, und in einem musikalisch-literarischen Abend wird zum Abschluss des Mahler-Wochenendes die Ehe der beiden Künstlerpersönlichkeiten Gustav und Alma näher beleuchtet.
K 18 | 2.7. | So. 19 Uhr
Kloster Eberbach, Basilika
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 3
Kate Lindsey, Mezzosopran
Hymnus Knabenchor
FREIGEIST Chor und Ensemble
Joolz Gale, Leitung
K 131 | 18.8. | Fr. 20 Uhr
Kloster Eberbach, Basilika
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 2
Pavla Vykopalová, Sopran
Jana Hrochová, Mezzosopran
Tschechischer Philharmonischer Chor Brno
Filharmonie Brno
Dennis Russell Davies, Leitung
K 133 | 19.8. | Sa. 19 Uhr
Kloster Eberbach, Basilika
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 4
Kate Lindsey, Mezzosopran
Hymnus Knabenchor
FREIGEIST Chor und Ensemble
Joolz Gale, Leitung
K 134 | 19.8. | Sa. 19 Uhr
Schloss Johannisberg, Fürst-von-Metternich-Saal
Fauré Quartett
Erika Geldsetzer, Violine
Sascha Frömbling, Viola
Konstantin Heidrich, Violoncello
Dirk Mommertz, Klavier
Gustav Mahler: Klavierquartettsatz a-Moll
Max Reger: Klavierquartett Nr. 2 a-Moll op. 133
Johannes Brahms: Klavierquartett c-Moll op. 60
K 136 | 20.8. | So. 19 Uhr
Schloss Johannisberg, Fürst-von-Metternich-Saal
Alma & Gustav Mahler
Corinna Harfouch & Peter Lohmeyer, Rezitation
Roman Trekel, Bariton
Hideyo Harada, Klavier
K 142 | 25.8. | So. 20 Uhr
Kloster Eberbach, Basilika
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 9
Gustav Mahler Jugendorchester
Jakub Hrůša, Leitung