Werkperspektiven: Goldberg-Variationen

„DENEN LIEBHABERN ZUR GEMÜTHSERGETZUNG“

Dass Musik ein probates Mittel gegen Langeweile in schlaflosen Nächten ist, ist nicht erst eine Erkenntnis unserer heutigen Zeit, in der wir dank Digitalisierung zu jeder Tages- und (eben auch) Nachtzeit auf den ganzen musikalischen Kosmos zurückgreifen können. Wer bereits vor CD, Schallplatte und Co. das nötige Kleingeld hatte, der konnte sich eben Musiker oder gar ein Orchester zum privaten Vergnügen leisten. So im 18. Jahrhundert auch Hermann Carl Graf von Keyserlingk, deutschbaltischer Diplomat in russischen Diensten in Dresden, zu dessen Bediensteten der Organist und Cembalist Johann Gottlieb Goldberg gehörte. Der gesundheitlich angeschlagene Keyserlingk lag nachts wach und langweilte sich. Und so wurde kurzerhand der im nahen gelegenen Leipzig wirkende Johann Sebastian Bach um Musik gebeten, mit der Haus-Cembalist Goldberg die schlaflosen Stunden des Grafen aufheitern konnte. Das Ergebnis sind die heute als „Goldberg-Variationen“ bekannten Variationen. Ob man dieser vom ersten Bach-Biographen Johann Nikolaus Forkel viele Jahre später überlieferten Anekdote glaubt oder nicht, spielt im Grunde nur eine Nebenrolle. Denn viel spannender ist, was Bach mit diesen 30 Variationen geschaffen hat. Wie in fast allen Bereichen der Musikwelt hat er auch hier bis dahin geltende Grenzen gesprengt.

Das Titelblatt des Erstdrucks verspricht dem Käufer der Noten zwar „Gemüths-Ergetzung“, doch damit müssen wohl in erster Linie die Zuhörer gemeint sein. Denn die „Goldberg-Variationen“ stellen den Spieler vor enorme technische Herausforderungen. Nicht ohne Grund gehört das Werk heute zu den Höhepunkten im Repertoire vieler Musikerinnen und Musiker. Gleichzeitig enthalten die Variationen den gesamten Kosmos barocker Musik. Sämtliche Formen der Tanzsuiten, stilisierte Konzertsätze oder Ouvertüren und versteckte Volkslieder – der Reichtum an Stilen ist schier grenzenlos. Und je stärker man ins Detail geht, je mehr man die einzelnen Variationen unter die Lupe nimmt, desto mehr staunt man über die enorme Kunstfertigkeit Bachs. Wie kann Musik so durchdacht sein und gleichzeitig so natürlich klingen?

Da wirkt der schlichte Titel auf dem Erstdruck von 1741 deutlich untertrieben: „Clavier Ubung bestehend in einer Aria mit verschiedenen Verænderungen vors Clavicimbal mit 2 Manualen. Denen Liebhabern zur Gemüths-Ergetzung verfertiget von Johann Sebastian Bach“. Variiert wird übrigens nicht die berühmte Melodie der Aria zu Beginn, den Kern der Variationen bilden die Bass-Noten. Sie sind das Fundament, welches das gesamte Werk trägt und zusammenhält. Und es ist sicher kein Zufall, dass die 32 Bass-Noten der Aria den insgesamt 32 Abschnitten der Variationen entsprechen.

In diesem Sommer widmen wir uns Bachs „Goldberg-Variationen“ in mehreren Konzerten aus unterschiedlichen Perspektiven. In verschiedensten Arrangements – sei es im Trio, im Streichquartett, mit Streichorchester oder am Klavier – nähern wir uns der Vielseitgeit dieses Werkes. Und wenn die Reise durch diesen unendlich reichen musikalischen Kosmos für eins sorgt, dann sicherlich für schlaflose Nächte und garantiert nicht für Langeweile!

 

Werkperspektiven: Goldberg-Variationen beim Rheingau Musik Festival 2023

K 34 | 11.7. | Di. 19 Uhr
Schloss Johannisberg
Fürst-von-Metternich-Saal

Asya Fateyeva, Saxophon
Eckart Runge, Violoncello
Andreas Borregaard, Akkordeon

K 60 | 19.7. | Mi. 20 Uhr
Kloster Eberbach Laiendormitorium

Niklas Liepe, Violine
Stuttgarter Kammerorchester

K 91 | 2.8. | Mi. 20 Uhr
Hattersheim
St. Martinus

Quatuor Ardeo
Carole Petitdemange, Violine
Mi-Sa Yang, Violine
Yuko Hara, Viola
Joelle Martinez, Violoncello

K 148 | 27.8. | So. 19 Uhr
Kloster Eberbach
Laiendormitorium

Ragna Schirmer, Klavier