Yulianna Avdeeva © C. Schneider
Yulianna Avdeeva wurde von The Daily Californian als „ein Spektakel reiner Klasse“ und von der Financial Times als eine Künstlerin gefeiert, die „die Musik atmen lässt“. Seit dem Chopin-Wettbewerb 2010, bei dem sie den ersten Preis mit ihrer „detaillierten Spielweise“ gewann, die „der von Chopin gleichkommt“ (The Telegraph), erlangte sie weltweite Anerkennung. Als Pianistin mit feurigem Temperament und Virtuosität spielt Avdeeva mit Kraft, Überzeugung und Autorität und hat damit das Publikum auf der ganzen Welt überzeugt.
Gemeinsam mit der Geigerin Julia Fischer wird die Pianistin den Konzertfrühling Ingelheim in einem „Frühblüher“-Konzert am 12. November eröffnen. Wir haben sie vorab auf ein Interview getroffen.
Viele kennen Sie als Gewinnerin des renommierten Chopin-Wettbewerbs 2010. In diesen Tagen erinnern sich viele daran, da der Chopin-Wettbewerb 2020 ( /2021) gerade zu Ende gegangen ist. Diese Wettbewerbe können gut als Sprungbrett für die Karriere einer Musikerin oder eines Musikers dienen. Wie war das für Sie? Wie haben Sie die letzten 10–11 Jahre erlebt?
Der Chopin-Wettbewerb 2010 wird mir als ein absolut einzigartiges Ereignis in Erinnerung bleiben, denn in diesem Jahr war es auch das 200-jährige Jubiläum Frédéric Chopins. Die Atmosphäre in der Stadt war gerade deswegen absolut einzigartig und umwerfend. Ich bin sehr stolz und glücklich, dass ich den Chopin-Wettbewerb 2010 gewonnen habe, denn es war natürlich ein Schlüssel, der mir viele Türen geöffnet hat. Seitdem habe ich viele wertvolle Möglichkeiten gehabt, mit großartigen Dirigenten und hervorragenden Orchestern zu arbeiten und auf der ganzen Welt aufzutreten.
Wie sieht der Vorbereitungsprozess für einen Wettbewerb dieser Größenordnung aus?
Das Einzigartige am Chopin-Wettbewerb ist, dass man lediglich Werke von Frédéric Chopin vorbereitet. Für mich bedeutete dies, dass ich mich eine Zeit lang außerordentlich tief, vor allem emotional, in die Welt Chopins begeben und eingearbeitet habe. Das heißt, ich habe nicht nur seine Werke studiert und mich in seine Musik vertieft, sondern auch viel über die Zeit gelernt, in der er lebte. Zum Beispiel habe ich viele Bücher seiner Zeitgenossen gelesen, denn viele große Schriftsteller und Maler waren mit Chopin befreundet. All diese Bücher und Zeittestamente waren wunderbare Inspirationsquellen! Natürlich ist dies ein nie endender Prozess und jeden Tag lerne ich etwas Neues über Chopins Welt, und das führt jedes Mal zu einem neuen, sehr intimen und sehr persönlichen Blick auf Frédéric Chopin und seine Musik. Es macht ihn für mich greifbarer, menschlicher.
Nach dem ausführlichen Vorbereitungsprozess stehen Sie dann auf der Bühne und versuchen, Ruhe zu bewahren und sich auf die anstehende Aufgabe zu konzentrieren. Wie haben Sie das gemacht und wie machen Sie das immer noch? Haben Sie Routinen oder Übungen?
Für mich persönlich ist dieser Moment des Live-Auftritts, des Konzertes, ein außergewöhnlicher Moment! Denn es ist die einzige Gelegenheit, in der ich die Möglichkeit habe, mit den Menschen im Publikum zu kommunizieren. Mit Menschen, die ich eigentlich nicht persönlich kenne. Aber durch die Sprache der Musik verbinden wir uns miteinander! Das ist der Grund, warum es für mich eine so große Freude ist, ein Konzert zu spielen. Denn diese Kommunikation findet auf einer ganz besonderen emotionalen Ebene statt.
Während des Chopin-Wettbewerbs 2010 fühlte es sich für mich deswegen auch nicht wie ein Wettbewerb an, weil das Warschauer Publikum sehr enthusiastisch ist. Es fühlte sich für mich eher wie eine Feier von Frédéric Chopin und seiner Musik und nicht wie Stress und Nervosität an.
Für den Chopin-Wettbewerb haben Sie eine große Anzahl von Werken dieses großen und sehr bekannten Komponisten Frédéric Chopin gemeistert. Heutzutage scheinen Sie jedoch immer wieder neue und unbekannte Stücke finden zu wollen, um sie dem Publikum zu präsentieren. Warum und wie finden Sie diese Stücke?
Natürlich wird die Musik von Frédéric Chopin immer eine besondere Rolle in meinem Repertoire spielen, aber ich bin ein sehr neugieriger Mensch. Ich denke, dass alle musikalischen Epochen irgendwie miteinander verbunden sind. Die Musik des Barock zu kennen oder auch die Musik des 20. Jahrhunderts sowie zeitgenössische Musik zu spielen, hilft mir sehr, neue Ideen für die Interpretation der Musik von Frédéric Chopin zu entwickeln. Denn die Musik anderer Komponisten hilft dabei, neue Impulse für das Verständnis sehr bekannter und sehr oft gespielter Stücke zu finden.
Ich bin nicht explizit auf der Suche nach unbekannter Musik. Es passiert einfach ganz natürlich: Ich werde von meinen Kollegen oder Freunden durch ihr Repertoire inspiriert oder entdecke einfach ein Stück, das mir gefällt. Selbst wenn es nicht sehr bekannt ist, lohnt es sich, es vorzustellen und mit anderen zu teilen. Denn es gibt so viele tolle Komponisten und sogar Werke von sehr bekannten Komponisten, die aus irgendeinem Grund nicht oft gespielt werden. Viele von ihnen sind es wirklich wert, dass sie mit dem Publikum geteilt werden.
Auch auf Ihrer kommenden Tournee spielen Sie mit Julia Fischer ein recht unbekanntes Werk: Die Violinsonate Nr. 2 von George Enescu – wie kam es dazu?
Ich kenne Julia Fischer schon sehr lange. In den vergangenen Jahren haben wir einige Tourneen gemeinsam bestritten. Es ist immer ein sehr interessanter und kreativer Prozess mit Julia ein Programm zusammenzustellen. Denn sie ist sehr offen, neugierig und motiviert, unterschiedlichstes Repertoire auszuprobieren. So auch mit Enescus Violinsonate Nr. 2: Es ist ein äußerst interessantes Werk und wir waren sofort sehr angetan. So kam es, dass wir es in unser nächstes Tourneeprogramm aufgenommen haben.
Für Kammermusik braucht man eine besondere und ganz enge Verbindung zu seinem Duopartner. Wie sieht diese Verbindung mit Julia Fischer aus und wie intensivieren Sie diese in ihren gemeinsamen Proben?
Es ist immer eine Freude und macht Spaß, mit Julia zu spielen und gemeinsam auf Tournee zu gehen! Für unsere gemeinsamen Probe bereiten wir uns erst allein vor, und kommen dann zusammen, um musikalische Ideen auszutauschen und auszuprobieren. Ich genieße es sehr, mit Julia zu proben, denn es ist immer ein sehr kreativer und energiegeladener Prozess, voller Spontaneität.